In den Fußstapfen seines legendären Ur-Ur-Großvaters befährt der heutige Dampfzug „The Aberdonian“ zum Vorteil seiner Passagiere nicht nur das größte Eisenbahnwunder Großbritanniens, die Forth Bridge, sondern auch viele Meilen herrlicher Küstenlandschaft. Denn die East Coast Railway Linie ist im Gegensatz zu ihrem Rivalen im Westen eine echte Küstentrasse! Der Luxuszug „The Aberdonian“ steckt voller Geschichte und Geschichten.
Bereits 1895 war der Zug Aberdonian Express in eines der sensationellen Ereignisse der britischen Eisenbahngeschichte verwickelt. Alles begann mit einer Empörungswelle der anderen schottischen Eisenbahn- gesellschaft sieben Jahre zuvor, als die East Coast Railway Company ankündigte ihren „Flying Scotsman“ unterwegs auch für das „Fußvolk“ (3.Klasse) öffnen zu wollen. Bisher waren diese Luxuszüge nur Gästen der ersten und zweiten Klasse vorbehalten. Sie boten sich einige Tage lang ein regelrechtes Wettrennen. Denn jede Gesellschaft wollte von London aus zuerst in Edinburgh ankommen. Zwischenzeitlich kam es danach immer wieder es zu Diskrepanzen zwischen beiden Eisenbahngesellschaften.
Doch all das war jedoch nur alles Kleinkrämerei und gewissermaßen ein Vorbote zu dem, was sich nach der Eröffnung der neuen Strecke nach Aberdeen mit den beiden großen Brücken über die Meeresbuchten “Firth of Forth” und “Firth of Tay” abspielte. Wenn Erwachsene sich streiten, dann wird es meistens schlimmer als wie Kindergarten. Das „Rennen nach Aberdeen“ begann mit der plötzlichen Ankündigung der Westcoast-Gesellschaft die Fahrzeit ihres „Flying Scotman“ um 10 min zu verkürzen, um so bis auf nur 5 Minuten an die Zeit der Konkurrenz heranzukommen.
Getroffene Hunde bellen laut. Prompt reagierte die Eastcoast-Railway mit dem Aberdonian Express ebenfalls mit einer Beschleunigung ihres Zuges. Im Sommer 1895 folgte in verwirrender Reihenfolge eine Beschleunigung der anderen. Zuerst wurden Zeiten reduziert, dann Halte ersatzlos gestrichen. Schließlich gab es überhaupt keinen Fahrplan mehr. All das in einer recht rasanten Zeit. Es war in London nur die Abfahrtszeit bekannt, während die angepeilte Ankunftszeit in Edinburgh und später Aberdeen ständig nach unten korrigiert wurde. Man wollte ja der Erste sein und die Konkurrenz durfte die Ankunftszeit nicht erfahren. Folglich mussten Ersatzzüge hinterherfahren, um die Passagiere unterwegs aufzusammeln, die an den Bahnsteigen voller Verwunderung gestaunt haben als ihr Zug einfach durchfuhr. Der Höhepunkt des Machtkampfes fand in den Nächten vom 21. bis 23. August 1895 statt.
Mit Stopps in Grantham, York, Newcastle, Edinburgh und Dundee befuhr der Eastcoast-Railway-Zug Aberdonian Express von London King’s Cross nach Aberdeen die 861 km lange Strecke in nur 8 h und 40 min. Und die Westcoast-Railway Companie in der darauffolgenden Nacht ihre 869 km lange Strecke dann in nur 8h 32 min. Bewältigt werden mussten nicht nur die Steigungen, sondern auch die scharfen Kurven, bedingt durch die Taleinschnitte in Mittelengland. Ganz zu schweigen von den eingleisigen Streckenabschnitten und den technischen Betriebshalte. Das Theater um die Ehre, der Beste und Schnellste zu sein, hat keiner Gesellschaft etwas genutzt. Es ging nur zu Lasten von Mensch, Material und Finanzen. Schon im Herbst 1895 wurde „Mann“ vernünftig und besann sich wieder auf den alten regulären Fahrplan. Gewonnen hat schlussendlich niemand. Jeder hat verloren. Das bei diesem Nervenkitzel und seelischem Druck wirklich nichts Schlimmeres passiert ist, grenzt schon an ein Wunder. Das „Rennen nach Aberdeen“ geht genauso wie das „Rennen von Rainhill“ in die britische Eisenbahngeschichte ein.
Heute wird die Strecke von London nach Aberdeen gemütlich in 11 h 25 min zurückgelegt. Der „Caledonian Sleepers“ verbindet täglich außer samstags London mit Fort William, Glasgow, Inverness, Aberdeen und Edinburgh in Schottland. Natürlich auch umgekehrt. Von preiswert bis komfortabel. Von relativ bequemen Schlafsessel bis zum Doppelbett-Abteil mit Dusche und WC.